Das Wissen über das Leben der Honigbiene als Wildtier ist in Europa bisher nicht wissenschaftlich erforscht. Unbekannt ist nicht nur die Zahl der wildlebenden Völker in unseren Wäldern, sondern auch das Wissen darüber, wo diese Bienen bevorzugt ihre Nester beziehen, wie lange sie dort ohne imkerliche Betreuung überleben, welche Symbionten mit ihnen leben, wie sie sich gegen Parasiten und Viren zur Wehr setzen und woran sie vielleicht doch sterben. Am Anfang steht jedoch die Aufgabe, solche wildlebenden Honigbienen zu finden. Inzwischen vermutet man, dass es in Deutschland ca. 7000 wildlebende Honigbienen-Völker geben könnte (Patrick Kohl und Benjamin Rutschmann von der Universität Würzburg).
Das „Beelining“ ist eine Möglichkeit , wildlebende Honigbienen zu finden. In diesem Jahr probierten wir es aus. Als Anleitung diente das Buch von Tom Seeley "Auf der Spur der wilden Biene". Wir stellen fest: Es ist gar nicht so einfach. Ein wildes Bienenvolk haben wir nicht gefunden. Trotzdem machen wir im nächsten Jahr weiter, denn das Beelining macht sehr viel Spaß. Außerdem verzeichnen wir Fortschritte. Das motiviert.
Beelining ist spannend. Am Anfang fängt man eine bis fünf Bienen, füttert sie, markiert jede individuell und lässt sie wieder frei. Anschließend passiert gar nichts. Geduld ist gefragt über 20, 40 Minuten oder vielleicht noch länger. Zweifel kommen auf. Und dann kehren tatsächlich die erste, die zweite und vielleicht alle markierten Bienen zurück. Und sie kommen nicht allein. So allmählich kommen mehr und mehr. Ein wildes Kommen und Gehen, eine Stressphase für Beeliner beginnt. Jetzt gilt es einen klaren Kopf zu behalten. Es müssen die Vorgänge konzentriert beobachtet und geordnet notiert werden. Dieses zu erleben ist faszinierend: Das Info- und Ortungssystem der Bienen hat funktioniert. Mit Übung und Vorkenntnissen ist Beelining eine sehr schöne, anregende und abwechslungsreiche Beschäftigung in und mit der Natur.
In dieser Anfütterungsphase im Spätsommer sind die Bienen extrem gierig auf die Zuckerlösung. Das Risiko gestochen zu werden ist nach unseren Erlebnissen sehr gering. Für Nichtimker ist es eine kleine Mutprobe.
Unseren ersten Versuch starteten wir am 6. Juli 2019 im Großen Deister. Das Wetter war warm genug (19 Grad). Die Bienen flogen. Wir konnten sie auf den Brombeerblüten finden und auch fangen (in Brombeeren nur mit langer Hose!). Unser Beeliningergebnis war aber schlecht. Wir führen es darauf zurück, dass wir die Zuckerlösung zu stark mit Anisöl versetzt hatten.
Am 15. und 22. September gingen wir zum Beelining in den Kleinen Deister. Das Wetter war an beiden Tagen gut, blauer Himmel, Temperaturen leicht über 20 Grad, mal windig, mal windstill. Die Bienen zu finden war zunächst schwierig, dann aber fanden wir sie auf Goldrute. Fast alles funktionierte wie von Tom Seeley beschrieben.
Trotzdem kamen wir unserem Ziel nicht näher. Denn die Richtungsbestimmung gestaltete sich schwieriger als gedacht und deshalb sehr ungenau. Die Pfeile in der Karte zeigen auf die von uns beobachteten Flugrichtungen der abfliegenden Bienen auf dem Weg zurück zu ihrer Behausung. Die Abflugrichtung ist aus folgenden Gründen besonders schwierig zu bestimmen:
Am Anfang muss mindestens eine Biene mit der Beeliningbox gefangen werden. Quetschungen sind unbedingt zu vermeiden. Im Anschluss wird der Biene Zuckerlösung in und später vor der Box angeboten. Das ist der richtige Zeitpunkt die Biene zu markieren.
Die markierten Bienen haben bereits weitere Bienen mitgebracht. Jetzt wird konzentriert auf zurückkehrende markierte Bienen geachtet, um den Zeitpunkt sofort in eine vorbereitete Tabelle einzutragen. Die Dauer zwischen Abflug und Rückkehr lässt Schlüsse über die Entfernung zur Behausung zu.
Nach einer Weile kommt Hektik auf. Es ist ein wildes Kommen und Gehen. Von allen markierten Bienen sollen Zeitpunkt und Richtung des Abflugs notiert werden. Die Richtungsbestimmung gelang uns leider nur selten zuverlässig.
Das Markieren muss gelernt sein. Misslingt es, kann es der Biene schaden. Diese grüne Biene ist nicht mehr flugfähig. Entscheidend sind der richtige Pinsel, die Feuchte der Tusche, der Pinseldruck und der Augenblick.
Nach dem ersten Abflug der markierten Bienen folgt das Warten auf die Rückkehr. Das kann 40 Minuten oder noch länger dauern. Vielleicht kommen sie auch gar nicht zurück. Man weiß es nicht. Geduld und Zuversicht sind gefragt.
Die Utensilien sollten in einen Rucksack passen und nicht zu schwer sein: Bienenbox, Abdecktuch, Tuschkasten mit Pinsel und Wasser, Wabenstückchen, fertig mit Anisöl parfümierte hoch konzentrierte Zuckerlösung, Spritze, Dokumentationsvorlage, Schreibstift, Kompass und Stoppuhr (im Handy), geländegängiges Tischchen und Hocker.
Stark konzentrierte Zuckerlösung (75%), die sehr sparsam mit Anisöl parfümiert wird (1 Tropfen auf 0,5 Liter), soll den Bienen so gut schmecken, dass sie zurück kommen. Aber Vorsicht: Nach Seeley macht eine größere Menge Anis die Bienen betrunken. Sie werden nicht mehr saugen, sondern sich zurück ziehen, um wieder nüchtern zu werden. Sie verlieren die Orientierung.
Das Beelining lässt sich gut mit einer Wanderung in schönster Landschaft verbinden. Am besten eignen sich kühlere Tage (unter 20 Grad), an denen Bienen noch nicht weit fliegen und das Trachtangebot nicht zu groß ist. Wir empfehlen Zeiten vor der Raps- oder Obstbaumblüte oder nach der Lindenblüte.
Thomas Seeley, Auf der Spur der wilden Bienen
Fischer-Verlag, 2018, 12 € (Taschenbuch)
In diesem Video zeigt Prof. Tom Seeley gut verständlich wie er eine wilde Kolonie von Honigbienen über "beelining" (in Amerika sagt man auch "beehunting") findet. www.youtube.com/watch?v=-fCwoZwPilo
Ein Artikel im Bienenjournal (Sep. 2019) von