Nirgendwo können wir so authentisch das Leben und Verhalten der Honigbienen beobachten, wie in vollkommen eigenständig besiedelten Baumhöhlen. Meist sind es alte verlassene Spechthöhlen, die das Bienenvolk als 2. oder 3. Mieter übernimmt. Kein Imker nimmt hier Einfluss, sei es, dass er Honig erntet, sie füttert, sie vor Parasiten zu schützen besucht, wie z.B. vor der Varroamilbe. In dieser Höhle bestimmen die Bienen selbst über all ihre Aktivitäten.
Der Fund eines solchen wilden Bienennestes war noch vor 50 Jahren für jeden Waldarbeiter nichts Außergewöhnliches. Heute sind solche Funde sehr selten. In den Jahren 2020 und 2021 sind uns vier solche Honigbienennester genannt worden.
Auf dieser Internetseite beschreiben wir den Verlauf der Entwicklung in einer besonders klassischen Baumhöhle (siehe unser Logo), die sich in einem Buchenstamm in 14m Höhe am Rand des Deisterkessels in Springe befindet. Dieses Nest wurde uns im Mai 2020 gemeldet. Leider mussten wir im Februar 2021 den Tod dieses Volkes feststellen. Aber schon am 19. Mai 2021 zog ein neuer Schwarm ein (alles weitere im Detail siehe unten).
In diesen Buchenstamm im Deisterkessel in Springe ist wahrscheinlich im Mai 2020 ein Bienenvolk eingezogen (das Flugloch zeigt nach Westen). Wir vermuten, dass es bei einem Imker ausgebüxt ist. Zwar hat das Volk den Winter 2020/21 nicht überlebt. Aber schon im nächsten Frühjahr 2021 zog erneut ein riesiger Schwarm ein.
Die Chancen, dass dieses Bienenvolk den nächsten Winter überlebt, sind nicht groß. Denn das Volk ist da oben auf sich allein gestellt. Kein Imker kann helfen.
Warum fällt der Honigbiene das Überleben ohne imkerliche Betreuung so viel schwerer, wenn sie es in der 30 Millionen Jahre andauernden Evolutionsgeschichte immer konnte?
Ganz sicher spielen die diversen Belastungsfaktoren der Neuzeit durch intensive Land- und Forstwirtschaft, imkerliche Betriebsweisen und nicht zuletzt die vor fast 50 Jahren eingeschleppte Varroamilbe eine Rolle. Heute kommt kein Imker mehr ohne chemische Behandlungsmittel aus. Die Honigbiene scheint behandlungsabhängig geworden zu sein. Damit hat speziell die wildlebende Honigbiene ein existentielles Problem und letztendlich auch unser Ökosystem, zu dem sie gehört. Allein der Varroamilbe die Schuld dafür zu geben, wäre zu kurz gedacht. Wir interessieren uns deshalb nicht für spezielle Behandlungsmethoden gegen die Milbe, sondern für die ursprünglichen und natürlichen Lebensbedingungen wildlebender Honigbiene. Wie hat die Honigbiene es geschafft, die diversen Belastungen der vergangenen 30 Millionen Jahre erfolgreich zu überstehen? Und was können wir daraus lernen?
Der Wunsch in diese natürliche Baumhöhle hineinzuschauen, ohne das Treiben der Bienen zu stören, war groß. Vorher mussten aber 14m Höhe an einem bis zum Flugloch astfreien Buchenstamm überwunden werden. Gar nicht so einfach, weder für den Menschen, noch für viele andere Räuber. Dieser Ort bietet Schutz vor einer Vielzahl von Feinden. Mit moderner Baumklettertechnik und Mut war diese Höhe aber gefahrlos zu überwinden.
Anfang Oktober haben wir uns mit aller Vorsicht dem Bienenvolk genähert. Die Bienen blieben sehr friedlich, weil wir vorsichtig vorgegangen sind und ihr Nest nicht antasten wollten. Uns interessierten Wabenbau, Höhlenvolumen, Makro- bzw. Mikrofauna, Hinterlassenschaften der Vorbewohner in der Höhle. Hier unsere ersten Beobachtungen vom 2. Oktober:
Die Höhle scheint deutlich größer als eine frisch angelegte Buntspechthöhle (ca. 12 Liter). Das deutet darauf hin, dass sich durch Verrottung und durch diverse Nachmieter das ursprüngliche Volumen vergrößert hat.
Die Höhle erstreckt sich vom Flugloch gesehen mehr nach oben. Hier haben die Bienen den Hohlraum vollständig mit Waben ausgebaut.
Mit unserer endoskopischen Kamera war es bisher nicht möglich bis zur Höhlendecke vorzudringen.
Das Flugloch ist oval und 6 x 5,5 cm groß. Die Höhle könnte von einem Buntspecht angelegt sein.
Am Flugloch ist bei 20°C mäßiger Flugbetrieb zu beobachten.
Einige Bienen tragen gelben Pollen ein.
Auf die erste Überraschung stoßen wir an der Decke des Fluglochs. Sie ist mit einem Mineralgemisch verputzt. Die Bienen scheinen es zu mögen. Wie kam dieses Gemisch mit kleinen, fast Linsen großen Steinen hierher? Die Bienen waren es sicher nicht. Wir vermuten, dass es Reste von einem Kleiber sind. Er nistet in vorgefundenen oder selbstgehackten Baumhöhlen, deren Eingänge und Innenwände er mit Lehm verschmiert und damit verkleinert.
In der Höhle sehen wir kleinere und größere unbebrütete Randwaben. Wabenreste aus Vorjahren sind nicht zu erkennen.
Auf den Höhlenboden stoßen wir schon nach ca. 10 cm.
Aufgrund der schlechten Bildqualität unserer semi-professionellen endoskopischen Kamera erkennen wir am Höhlengrund schemenhaft ein verlassenes Vogelnest. Es sieht aus, als wäre es vor nicht langer Zeit verlassen worden. Leere Eierschalen sind zu erkennen. Was ist hier passiert? Welcher Vogel hat hier gebrütet? Sind es die Schalen des Kleibers?
Durch die bewegten Bilder im anliegenden Video erkennen wir, dass das Vogelnest belebt ist. An vielen Stellen bewegt sich etwas. Sogar Varroamilben konnten wir identifizieren.
Nach zunächst relativ warmen Wintermonaten brachte der Februar 2021 viel Schnee und Kälte bis -15 C. Ende des Monats kletterte die Temperatur sprunghaft auf bis zu 15 Grad C. Das war der Moment, nach den Bienen im Buchenstamm zu schauen. Schon von unten war klar: Hier lebt kein Volk mehr.
Solche Baumhöhlen sind ein begehrtes Winterquartier. Ein unbewachtes Bienennest wird schnell von anderen Tieren in Besitz genommen. So war es wahrscheinlich auch hier. Teile der Waben sind bereits zerstört. Das zeigen die Bilder oben und unten links. Unten rechts schauen wir auf den Höhlenboden. Zu sehen ist das Gemüll der vergangenen Besiedlungen: Tote Bienen, Federn, Waben- und Holzstücke und vieles mehr.
Das Wetter im Mai ist in diesem Jahr einen Hinweis wert, nicht nur, weil er für die Entwicklung der Honigbienen von überdurchschnittlicher Bedeutung ist. Sondern auch, weil er entgegen dem allgemeinen Trend (Klimawandel) zu kalt war. Das "Aprilwetter" wollte auch im Mai nicht aufhören. Am Ende brachte er es auf eine durchschnittliche Temperatur von +10,7 Grad, also gegenüber dem Mittelwert von 1961 bis 1990 um -1,4 Grad und im Vergleich der wärmeren Jahre von 1991 und 2020 sogar um -2,4 Grad deutlich zu kalt. Neben 2010 (+10,4 Grad) und 1991 (+9,5 Grad) war 2021 der dritte zu kalte Maimonat in den letzten 30 Jahren.
Der 16. Mai: Wir bekommen einen Hinweis: Ein Schwarm so laut, dass er kaum zu überhören war. Er hat sich ganz in der Nähe von unserer Baumhöhle niedergelassen (siehe Bild links).
Zunächst sind es drei kleinere Schwärme, die sich nach ca. einer Stunde zu einem ziemlich großen Schwarm vereinigen. Zunächst ist der Schwarm unruhig, beruhigt sich aber nach zwei Stunden deutlich.
Von Anfang an ist auch Flugbetrieb zwischen dem Flugloch und der Schwarmtraube zu beobachten. Es sind die Scout-Bienen, die die verlassene Höhle inspizieren.
Das Wetter ist zum Schwärmen ungünstig. Es bleibt in den nächsten 3 Tagen kalt (max 15C), regnerisch und windig.
Der relativ große Schwarm (3 kg geschätzt) hängt 15 Meter hoch an einem dünnen Zweig. Starke Böen schaukeln die Schwarmtraube heftig hin und her (links). Auf seiner Oberfläche herrscht morgens relative Ruhe, am Nachmittag nimmt das Gewusel deutlich zu.
Ständig herrscht ein mehr oder weniger reger Austausch zwischen Schwarmtraube und Baumhöhle. Erst am Abend des 3. Tages (am 18. Mai um ca. 18:00) zieht der Schwarm in die 10 Meter entfernte Baumhöhle ein. Die Höhle war frei. Ein Teil des Wabenwerks des verstorbenen Bienenvolks vom vergangenen Jahr existierte noch. Ob noch Futterreste vorhanden waren, ist wenig wahrscheinlich. Die Bilder links wurden am 21. Mai gemacht, also drei Tage nach dem Einzug. Es scheint, als hätte der Schwarm trotz widriger Wetterverhältnisse alles gut überstanden. Am Flugloch stürmt es, aber das hält eine große Zahl an Bienen nicht davon ab, auszufliegen. Denn der Energiebedarf ist nach den vergangenen Tagen sehr groß. Außerdem muss ein Nest eingerichtet, ein neues Volk aufgebaut und neue Futtervorräte angelegt werden.
Mein Eintrag aus dem Tagebuch vom 23. Juli 21: Es ist sonnig, ca. 24 C, wenig Wind, etwas schwül. Für Bienen ein gutes Wetter.
Die Höhle ist brechend voll. Sehr starker Flugbetrieb. Die Zeit der Drohnen scheint zu Ende zu gehen. Auch mit dem Endoskop ist der Grund der Höhle kaum zu sehen. Es wuselt nur so vor der Linse. Die Bienen haben die Höhle vollständig ausgebaut.
Baumklettern kann frustrierend sein. Oben angekommen und voller Hoffnung, blicke ich in ein totes Nest. Die Vögel hatten sich schon Platz gemacht und einen Teil der Waben abgeräumt . Wahrscheinlich wird es jetzt als Winterquartier genutzt. Von wem, war leider nicht herauszufinden.